Reihe „Bühnenkampf und Kampfchoreografie, was ist das eigentlich?“, Teil 1
Ich nenne mich Kampfchoreographin. Aber was genau mache ich denn da?
Zuallererst: ich arbeite auf der Theaterbühne mit professionellen Schauspielern und Performern. Man könnte sagen, ich bin Kampftrainerin. Manchmal aber auch Akrobatik- oder Tanzlehrerin. Und zum Entspannen gibt’s schon mal eine Yogastunde und zum Aufwärmen oder bei Schmerzen in Gelenken Mobilisierungseinheiten. Eigentlich könnte ich mich statt Kampftrainerin auch Bewegungspädagogin nennen. Allerdings ist das nur die halbe Miete. Die Aufgabe einer Kampfchoreographin am Theater beinhaltet weitaus mehr als ein normales Kampf- oder Bewegungstraining. Wieso?
In der Reihe „Bühnenkampf und Kampfchoreografie, was ist das eigentlich?“ schreibe ich über meine Herangehensweisen, die Probleme, mit denen man sich als Kampfchoreographin im deutschsprachigen Theaterraum konfrontiert sieht, teile Erfahrungen und Geschichten und berichte über mögliche Lösungsansätze. Wenn du irgendwo nachhaken möchtest, oder ich auf etwas näher eingehen soll: hinterlasse mir einfach einen Kommentar oder schreibe mir eine Nachricht.
Bühnenkampf in Deutschland – wir werden nicht gesehen
Der Begriff des Kampfchoreographen (mit „ph“ oder „f“) ist keine geschützte Berufsbezeichnung. Wir sind eine uneinheitliche Branche mit verschiedenen Expertisen, Ausbildungen und Foki. Viele meiner Kollegen kommen aus dem Sport- oder historischen Fechten und haben mit Theater/Schauspiel kaum etwas am Hut. Andere wiederum sind ausgebildete Schauspieler, die sich in Workshops und Seminaren auf Bühnenkampf spezialisiert haben. Dritte kommen vom Film und sind eher dem Stunt nahe. Die Vierten sind Tänzer, die Fünften machen nur Amateurtheater, usw.
Im Vergleich zum englischsprachigen Ausland oder zu Skandinavien, gibt es in Deutschland keinen Dachverband für Kampfchoreographen, bzw. für Bühnenkampf. Von der Akademie der Fechtkunst Deutschlands abgesehen (ADFD), gibt es auch kein einheitliches Ausbildungssystem.
Selbst bei der Zentralen Arbeitsvermittlung für Bühnenjobs weiß man nicht, wie mit uns umgegangen werden soll. Ich rief an, um mich in die Kartei aufnehmen zu lassen. Unter Nachfragen und Erklärungen, was ich denn da so treibe, wurde ich von der Leiterin der Sparte Schauspiel in München an die Kollegen Tanz und Choreographie in Leipzig und Hamburg weiterverwiesen. Die wiederum konnten mit mir gar nichts anfangen „solche Jobs gibt es bei uns nicht.“ Ja, sagte ich, „dann muss ich weiter Initiativbewerbungen schreiben und bleibe allein auf weiter Flur?“, „Da können wir Ihnen nicht helfen.“ Was läuft da falsch?
Politikum: Es braucht ein Forum für deutschsprachige Kampfchoreographen
Vernetzung ist das Stichwort für freischaffende Künstler im 21. Jahrhundert. Blöderweise besteht auf Seiten der Bühnenkämpfer ein mangelndes Vernetzungsinteresse. Aber ich möchte mich austauschen, möchte lernen, möchte aus Erfahrungen und Fehlern lernen und Gleichgesinnte treffen. Möchte nicht immer die einzige Kampfchoreographin in einem Saal voller Regisseure und Schauspieler sein. „Ach, du tanzt auch?“ Dass es an vielen Stellen Aufholbedarf gibt, stellte ich recht früh fest. Während meines Studiums der Theaterwissenschaften, bei Gesprächen mit Theatermenschen und öffentlichen Institutionen. Was also tun?
Derzeit befinde ich mich mit Kollegen aus Stuttgart, Freiburg, Darmstadt und Hamburg in der Gründungsphase eines überregionalen Forums und Netzwerks für deutschsprachige Kampfchoreographen. Denn klar ist: Wenn nicht einmal wir voneinander wissen, wie sollen denn dann Theater oder andere Auftraggeber auf uns aufmerksam werden?
Und darunter fällt auch die Sorge, dass Arbeitgeber davor geschützt werden müssen, jemanden anzuheuern, der nur mangelhaft ausgebildet ist und nicht nur die Schauspieler, sondern auch das Publikum und das künstlerische Konzept in Gefahr bringt.
Der Bühnenkampf in Deutschland wird häufig gleichgesetzt mit „Fechten auf der Bühne“
Das ist an sich korrekt, greift aber zu kurz.
Es lässt sich festhalten: die öffentliche Wahrnehmung und das Wissen um die Vielfalt unseres künstlerischen Schaffens ist sehr gering. Theaterkritiken verdeutlichen dies. Gibt es beispielsweise zwei Choreographinnen, eine für Tanz und eine für Kampf, fällt die für Kampf meist unter den Tisch. Reicht ja, wenn man von „es wird gefochten“ schreibt. Nein, denn das offenbart ja genau die mangelnde Sehfertigkeit für unsere Branche! Eingegangen wird hauptsächlich auf das offensichtliche Gefecht, nicht aber auf die vielen kleinen Szenen, die in einzelnen Proben erarbeitet wurden; hier fällt einer von der Bühne, dort rollt jemand über den Rücken eines anderen, es wird geworfen, gedreht, Handstände werden auf Oberschenkeln gemacht, Ohrfeigen ausgetauscht oder kleine Rangeleien im Hintergrund werden feinst choreographiert.
Eine Ausnahme scheint die öffentliche Wahrnehmung von Kampfchoreographen an Amateurtheaterbühnen darzustellen. Sicherlich steht dies im Zusammenhang mit den theatralen Stoffen („Pirate Queen“, „Robin Hood“, „die Schatzinsel“), die dort inszeniert werden. Dort wird offensichtlich gekämpft. Viel, theatral und mit klaren Geschichten. Was aber, wenn Kampf nicht immer laut und „Oho!“ ist? Wenn Kampf überlappt in Tanztheater?
Die mediale Wahrnehmung und Zuweisung von Kampf = fechterische Auseinandersetzung greift zu kurz. Allein deshalb wäre ein Forum für deutschsprachigen Bühnenkampf als Anlaufstelle und Impulsgeber sinnvoll. Desweiteren fehlen geisteswissenschaftliche Studien zum Thema Inszenierung von Gewalt auf der Bühne, und wenn es nur eine Statistik gäbe über tatsächlich engagierte Choreographen, Kampfszenen, oder vorhandene Theaterstrukturen wie die Waffenkammer und den Rüstmeister auf deutschsprachigen Bühnen in ein oder zwei Spielzeiten.
Ein öffentliches Organ zur Sicherung von Qualität und Wissenstransfer ist dringend notwendig!
Wir haben in Deutschland kein einheitliches Ausbildungssystem für Kampfchoreographen. Warum nenne ich mich dann Kampfchoreographin und was ist mein Werdegang?
Meine Geschichte – so kam ich zum Bühnenkampf
Die Grundzüge von Bühnenkampf und Bühnenfechten erlernte ich durch mehrjähriges Hospitieren an drei renommierten deutschen Schauspielschulen. Ich trainiere seit fast 20 Jahren verschiedene Kampf- und Bewegungskünste, studierte Theaterwissenschaften und arbeite seit über 10 Jahren an professionellen Theaterhäusern. Seit zwei Jahren fühle ich mich körperlich und technisch derart gewappnet, dass ich verstärkt als Performerin in der Freien Szene arbeite. Retrospektiv kann ich sagen: alles fiel an seinen Platz, was ich jetzt tue ist eine logische Konsequenz des Vorangegangenen, waren sie noch so unterschiedlich. Dass ich aber nicht mit Bühnenkampf angefangen habe, sondern mit Regie- und Dramaturgieassistenzen, dass ich eigene Stücke geschrieben und inszeniert habe, dass ich nicht Schauspiel sondern deutsche Sprach- und Literaturwissenschaften studiert habe und mich drei Jahre durch ein sprödes Theaterwissenschaftsstudium quälen musste und mit meinem Bühnenkampffokus immer Außenseiterin war, kommt mir heute sinnvoll vor, da es mein Spektrum wissenschaftlich und praktisch erweitert hat. Lange Zeit kam ich mir aufgrund der Patchworkhaftigkeit und mangelnden Verständnis von außen sehr verloren vor. Und auch heute weiß ich nicht alles, bilde mich bei internationalen Lehrern weiter fort und fange bei jeder Choreographie unvoreingenommen mit dem an zu arbeiten, was die Schauspieler an Techniken und Entwicklungspotential mitbringen. Kämpfen heißt Pulsieren zwischen Widerständen: Ich möchte kein Korsett überwerfen, ich möchte mit einem kreativen Team entwickeln.
Der große Feind von modernem Bühnenkampf: wissenschaftliche Ignoranz und das Festhalten staatlicher Schauspielschulen am „alten Kanon“
Als ich vor Jahren meine Masterarbeit über Bühnenkampf schreiben wollte, wurde mir von meinem Prof angeraten über Wrestling zu schreiben, das wäre ja auch eine Inszenierungsform. Schließlich würde heutzutage auf der Bühne auch kaum mehr gekämpft. Wieso? Wegen der fehlenden dramatischen Auseinandersetzung damit, war meine Antwort! Nein, der Konflikt sei nach innen verlegt worden, was viel feiner wäre als die bloße Darstellung der ultima ratio: Wo Worte fehlen, da wird gekämpft. Das hat mich kurzzeitig verstummen lassen und vor Jahren schwer getroffen. Durch meine praktischen Erfahrungen heute kann ich sagen: Bullshit. Vielleicht traut man seinen eigenen Bildern von Gewalt nicht. Das heißt nicht, dass sie sich nicht choreographieren lassen. Die Aussage meines damaligen Professors war schlicht wissenschaftliche Ignoranz.
Was ich dagegen tue? Weiterkämpfen, praktisch und wissenschaftlich forschen, mich vernetzen. Den Mut behalten, wenn sich Formen nicht gleich finden lassen und zuversichtlich bleiben, dass ein politisches Theater in einer konfliktreichen Gegenwart den menschlichen Körper nicht ausblenden kann.
Freu dich schon auf den Nächsten Blogeintrag der Reihe „Bühnenkampf und Kampfchoreografie, was ist das eigentlich?“ Im II. Teil erzähle ich euch, was für mich Bühnenkampf ist, wie ich arbeite, auf was man achten muss und womit man sich am professionellen Theater auseinandersetzen muss, wenn gekämpft werden soll.
Dir fehlt was? Du möchtest etwas loswerden? Du interessierst dich für das überregionale Netzwerk deutschsprachiger Kampfchoreographen?
Dann lass einen Kommentar da, oder schreibe mich an.
Ich wünsche euch einen flauschigen Juli!
Eure Franzy
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